Die Sternbetrachtung auf der letzten Seite haben, wie wir sahen, eine Menge Lücken und Fragen offen gelassen. Aber genau hier fängt ja Bauvals These an. Er ist der Meinung, genau diese Lücken schließen zu können. Denn das was die Ägyptologie bislang zu Sternkulten herausgefunden hat sei nur ein Bruchteil dessen, was wirklich vorhanden war.
Die (von seinen Verteidigern ad nauseum wiederholte) Phrase dazu lautet: "Der in der Frühzeit vorhandene starke Sternenkult wurde von einem späteren Sonnenkult so erfolgreich verdrängt, dass von ihm kein nachweisbarer Rest mehr übrigblieb."
Gedanklich kann man die Argumentation ungefähr so zusammenfassen: Der Sternenkult war aufgehängt an der Verknüpfung des Totengottes Osiris mit dem Sternbild Orion und der Verknüpfung des Königs mit Osiris und damit auch mit Orion. Der Nachbau des Orion auf Erden wäre daher kein Sternentempel, sondern ein Denkmal für die Pharaonen, die ja zu den Sternen wurden, welche ihre Pyramiden darstellen sollten. Ob und welche religiöse Rolle die übrigen Sterne spielten sei daher sekundär. Den Totenopferkult für einen Pharao könnte man vor diesem Hintergrund als "getarnten" Sternenkult auffassen. Der Pyramidenkult, der in jeder Pyramidenanlage nachweislich mehrere 100 Jahre praktiziert wurde, sei damit ebenfalls ein getarnter Sternenkult gewesen, unentdeckt durch die herkömmliche Wissenschaft (die Bauval übrigens penetrant als "Orthodoxie" tituliert). Dies würde natürlich Aussagen von Ägyptologen wie zum Beispiel Bonnet und Hornung widerlegen.
Damit dies zutreffen kann, muss sowohl der Gott Osiris als auch seine Verknüpfung zu Orion sehr alt sein. Ach ja, und auch die Identifizierung zwischen Osiris und dem toten König muss sehr früh belegbar sein.
Für religiöse Kulte gibt es verschiedenartige Belegmöglichkeiten:
Fangen wir also an:
Eine wesentliche Basis für den frühen Osiris ist der sogenannte Osiris-Mythos. Dieser Mythos beschreibt die Entstehung der wesentlichsten Götter Ägyptens und deren nicht gerade friedliches Zusammenleben. Speziell der Gott Horus, der in diesem Mythos beschrieben wird, ist von eminenter Wichtigkeit. Auch die Symbolismen die in diesem Mythos erwähnt werden, wie der Djed-Pfeiler und die Grabstätte des Osiris, sind von großer Bedeutung bei der Bestimmung des möglichen Alters. Aber beginnen wir vorne:
Die überlieferte Geschichte des Osirismythos beschreibt, wie dieser als König über Ägypten regierte und dem Land Glück und Segen brachte. Er brachte auch das Wissen über Ackerbau und Viehzucht nach Ägypten. Osiris und seine Schwester Isis liebten sich inniglich, und hatten sogar ein gemeinsames Kind, Horus.
Seth, der Bruder von Osiris, war über die Erfolge von Osiris erbost, da er selbst nach dem Königsthron trachtete. So schmiedete einen Plan, ihn zu töten. Er ließ eine Lade fertigen, geschmückt mit Gold und kostbaren Edelsteinen, und versprach bei einem Gelage, demjenigen die Lade zu schenken, der sie komplett ausfülle. Was niemand wusste: Seth hatte die Lade heimlich nach Maßen von Osiris fertigen lassen. Als nun die Reihe an Osiris war, in sie hineinzusteigen, sprangen Seth und 72 Mitverschwörer auf, nagelten sie zu und versenkten sie im Nil.
Als Isis davon erfuhr machte sich auf die Suche nach dem Sarg, und nach vielen Mühen fand sie ihn in Byblos (damit ist eventuell nicht die Stadt im Libanon, sondern eine Delta-Stadt gemeint[1]), eingewachsen in einen riesigen Baum. Der König des Landes fällte den Baum ihr zu Ehren und formte daraus den ersten Djed-Pfeiler, den er zur Abstützung des Dachs seines Palastes verwendete.
Den so freigelegten Sarg brachte Isis zurück an den Hofe von Horus. Dort entdeckte ihn Seth, und dies machte ihn so wütend, dass er die Leiche von Osiris in 14 Teile zerriss und über das ganze Land verstreute. Isis aber sammelte alle Teile zusammen und begrub jeden in einem Heiligtum, und nachdem alle Teile gefunden und bestattet waren kehrte Osiris aus der Unterwelt zurück um seinen Sohn Horus in der Kriegführung auszubilden um ihn zu rächen...
Das sind die Grundzüge des Osiris-Mythos. Im Original ist die Geschichte etwas verworrener als meine Zusammenfassung. Man erfährt zum Beispiel, dass Osiris mit der Ehefrau von Seth, Nephytis, einen Sohn (Anubis) gezeugt hat, und dass Seth davon wusste. Hm, könnte das nicht ein guter Grund für Seths Ärger sein???
Verwunderlich ist aber die Unmenge an griechischen Göttern, die im Osirismythos auftauchen. Seltsam!
So seltsam eigentlich nicht, denn die erste vollständige Überlieferung des Mythos wurde von einem Griechen niedergeschrieben. Vom bekannten Philosophen und Schriftsteller Plutarch, der zwischen 46 und 125 nach Christus lebte![2]. Das bedeutet natürlich nicht, dass der Mythos nicht schon weit früher existierte. Schon in den ältesten religiösen Schriften, den Pyramidentexten, wird auf den Mythos Bezug genommen. Dummerweise sehen dort aber viele Details anders aus als in Plutarchs Niederschrift. Das ist Folge des Umstandes, dass Plutarch den Mythos am Ende einer langen, wechselvollen Tradierungsgeschichte niederschrieb. Aber was aus dem Mythos ist altes Original, und was ist eventuell später hinzugedichtet worden? Das ist ja ein elementarer Punkt für die Orion-These.
Wir wissen zum Beispiel, dass die Geschichte mit der Zerteilung des Osiris wahrscheinlich in der Spätzeit, weit mehr als 1000 Jahre nach der Pyramidenzeit, in den Mythos eingebracht wurde[3] - damit hat sich Bauvals "nice to have" mit Pyramidenzahl = Anzahl Osiristeile soeben in Luft aufgelöst. Auch die Angaben zur Zeugung des Horus variieren. Beschreibt Plutarch, dass Horus bereits im Mutterleib der Nut gezeugt wurde, verschieben andere Facetten der Geschichte dies auf die Zeit nach der Wiedererweckung des toten Osiris durch Isis und Nephytis, oder sogar auf die Zeit der Wiederzusammensetzung des zerteilten Osiris (obwohl andere Zerteilungsgeschichten den Osiris nicht zusammensetzen, sondern die einzelnen Teile am Fundort beerdigt sehen wollen).
Diese wenigen Beispiele machen klar, dass die Osirislegende nicht so einfach gestrickt und linear ist wie man annehmen möchte. Und das gilt für viele Bereiche der ägyptischen Religion!
In einigen Diskussionen stellte ich fest, dass etliche Ägyptenliebhaber und Amateur-Ägyptologen nicht wahrnehmen, dass die ägyptische Religion kein festzementiertes Gefüge gewesen ist, welches 3000 Jahre lang unverändert existierte. Das liegt oft daran, dass sie ihr Wissen aus veraltete Quellenliteratur beziehen, die auch heute noch in großer Zahl und preiswert auf den Markt gebracht wird und so verhängnisvoll prägend wirkt.
Dazu gehören die Bücher von Wallis Budge, die zwar teilweise die 100 Jahre weit überschritten haben, aber in immer neuen und preiswerten Nachdrucken publiziert werden. Budge war der festen Meinung, dass das ägyptischen Pantheon bereits in der Urzeit Ägyptens fest ausgeprägt gewesen ist und seither nur minimale Veränderungen durchmachte. Im Laufe der Entwicklung der Ägyptologie stellte man aber fest, dass dies ganz offensichtlich nicht der Fall ist. Spätestens seit den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts begann daher der Wandel in der Religionsauffassung. Dieser hat sich aber leider noch nicht in der populärwissenschaftlichen Literatur durchgesetzt, und Bücher der alternativen Geschichtsschreiber schweigen sich aus vielfältigen Gründen sowieso total dazu aus.
Es ist eben bequemer, eine bestimmte, zu einer netten These passende religiöse Anschauung zu einer beliebigen Zeit der Geschichte Ägyptens herauszugreifen, um diese dann in die gewünschte Zeit vor- oder zurückzuprojizieren, als sich mit den jeweiligen Situationen der Stichzeit auseinanderzusetzen...
Das Bild von der ägyptischen Religion welches üblicherweise in populärwissenschaftlicher Literatur verbreitet wird, stellt oft den Stand dieser in der zweiten Hälfte des Neuen Reichs dar, also den Zustand im letzten Drittel des pharaonischen Ägypten. Eine Projektion dieses Bildes in eine andere Zeit ist schlicht unzulässig, da die ägyptische Religion ständigem Wandel unterworfen war. Besonders starke Verschiebungen traten in den ersten 1000 Jahren des vereinigen Ägyptens auf - und die Pyramidenzeit liegt genau mitten drin.
Diese Religionsveränderungen waren aber nicht dergestalt wie man sie sich als Laie vorstellt. Es gab keine "siegreichen" Götter die "unterlegene" ersetzten, oder gar den kompletten Austausch ganzer Götterkreise. Die Veränderungen waren subtil und entstanden eher durch Verschmelzung als durch Verdrängung.
Die Ursache dafür liegt wahrscheinlich in der Struktur Ägyptens begründet. Das Land wuchs in seiner Frühzeit einer Reihe unabhängiger Regionen zusammen, die vorher offensichtlich überwiegend friedlich nebeneinander existierten und über den Nil einen ständigen Handels- und Kulturaustausch durchführten. Durch den ständigen Austausch bereits vor der Reichseinigungsphase verschmierten viele religiöse Ideen über größere Regionen, und es kam auch zu einer Überlappung der Götterrollen. Dabei entstanden sowohl Götter mit gleichen Rollen aber unterschiedlichen Namen, als auch Götter gleichen Namens mit unterschiedlichen Rollen in den verschiedenen Regionen. Dies ist zwar spekulativ, kann aber die Eigenartigkeiten recht gut erklären.
Während der Phase der Reichseinigung, die mehrere 100 Jahre dauerte, und auch noch danach kam es zu einer Etablierung eines "reichseinheitlichen" Göttermodells, welches aber immer noch lokale Variationen besaß.
Den Prozess der Verschmelzung bezeichnet man als "Synkretismus". Bahnbrechende Arbeiten dazu, die noch heute anerkannt sind, stammen von Bonnet. Er schreibt:
"So führt das Ringen um das Primat in einen Wettstreit der großen Götter. Aber dieser Wettstreit ist eigener Art. Er wird nicht in der Form eines Kampfes geführt, der gegen andere Ansprüche streitet. Man nimmt sie durchaus als Gegebenheit hin und erwehrt sich ihrer Konkurrenz, indem man sie zu sich selbst hinüberzieht und dem Ruhm der eigenen Götter dienstbar macht. An die Stelle der Polemik tritt darum ein spüren nach geheimen Verbindungen, die andere Götter und Mythenkomplexe an den eigenen Götterkreis heranziehen und seine Macht weiten. So mündet der Wettstreit nicht in einer Isolierung und gegenseitigen Abschließung, sondern in einer Verflechtung der rel. Besitzstände aus. Diese Verflechtung zielt auf mehr als eine äussere Verkopplung ab; sie wird zur Verschmelzung. Denn mit den Antrieben, die von der äusseren Lage, wie sie oben gekennzeichnet ist, kommen, trifft ein Drang zusammen, der tief im rel. Bewusstsein des Äg. eingebettet ist, der Drang zu einem synkretistischen Ausgleich."[4]
Dieser Synkretismus als beherrschendes Element ist auch wichtig zum Verständnis der späteren Betrachtung der Rolle des toten Königs. Die Folgerungen dort sind mindestens genauso schwerwiegend wie dieses Lehrbuchbeispiel für den Synkretismus bei einem weiteren Kernbeleg der Orion-Theorie, den wir uns nun ansehen:
Der Gott Horus wird von Bauval in Punkt (1) als Beleg für einen uralten Osiris herangezogen. Zur Erinnerung:
"Ägyptologen haben aufgezeigt, dass die altägyptische Theokratie auf der Vorstellung beruhte, dass der König zu Lebzeiten die Reinkarnation des Horus, des ersten Gott-Königs Ägyptens sei, und damit auch Sohn von Osiris und Isis."
Wir erinnern uns: In der Osirislegende taucht Horus als das Kind von Isis und Osiris auf. Gleichzeitig ist bekannt, dass sich schon die ältesten Pharaonen mit Horus identifizierten. Sogar die älteste überhaupt bekannte Namensform eines Pharaos ist sein sogenannter Horusname. Wenn also Horus das Kind von Isis und Osiris ist, und Horus nachgewiesenermaßen ur-ur-alt ist, muss Osiris zwangsweise ebenso ur-ur-alt sein.
Das ist leider ein typischer Fall von denkste. Die Osiris-Legende beginnt nämlich schon bei Plutarch früher als ich oben angeführt habe, nämlich mit der Erschaffung der Erde durch Geb und Nut. Dort wurden nicht nur die Götter Isis und Osiris, Seth und Nephytis geboren, sondern auch - Horus!
Horus als Bruder des Osiris. Aber Horus soll doch der Sohn von Isis und Osiris sein? Plutarch wusste, dass da "etwas nicht stimmte". Er lebte ja über 2500 Jahre von der Entstehungszeit der Legende, die sich inzwischen in viele verschiedene Richtungen entwickelt hatte entfernt, und war mit vielen Bruchstücken konfrontiert, die nicht so recht zusammenpassten. So verwendete er einen Kunstgriff, um diese offensichtliche Diskrepanz zu erklären, und machte kurzerhand Horus zu Bruder UND Sohn:
"Isis und Osiris aber liebten einander schon vor ihrer Geburt und wohnten einander im Mutterleib in der Finsternis bei. Einige behaupten, auf diese Weise sei Haroeris gezeugt worden, und er werde von Ägyptern der ältere Horus(Horsemsu, Anm. FD) genannt, von den Griechen Apollo."[5]
Das funktioniert leider nicht bei anderen überlieferten Bruchstücken der Legende, in denen erst der tote Osiris den Horus zeugt. Hier sehen wir also schon die erste Diskrepanz. Aber Horus als Bruder des Osiris wäre ja immer noch annehmbar und ein Zeichen für die frühe Existenz des Osiris.
Leider ist der Teil der Legende, in der die 5 Epagomen (so bezeichnet man die Kinder von Geb und Nut, also Isis, Osiris, Seth, Nephytis und Horus) geboren werden auch nicht sehr alt. Die allererste beiläufige Erwähnung gibt es in den späten Pyramidentexten. Ein einziges mal in einer Königinnenpyramide vom Ende der 6. Dynastie, in 1963 c[6]. Ähnlich mager sieht übrigens auch die Beleglage der Isis in ihrer Rolle als Osiris-Geliebte in den frühen Texten aus...[7]
Ja, Horus ist ein alter Gott. Aber der alte Falkengott, der schon in der Frühzeit Ägyptens verehrt wurde, hat mit dem späteren Horus eigentlich nichts zu tun.
Der Falkengott der Frühzeit (Hor semsu- Horus der Ältere, wie er späterhin von den Ägyptern selbst zur Unterscheidung von Horus, dem Sohn der Isis (Harsiese) genannt wird) ist ein Himmelsgott, der in den Pyramidentexten als "Herr des Himmels" (CT-MR) bezeichnet wird. Dieser Gott ist es, den die frühen Falkendarstellungen (vor allem auch in den Titulaturen der frühen Pharaonen) abbilden. Seine Mutter ist laut den Pyramidentexten Hathor, später werden auch Geb und Nut als Eltern genannt.[8]
In den Pyramidentexten existiert sogar der Spruch 534, der den Unterschied zwischen Horus dem Älteren und den Göttern des Osiriskreises (inklusive Horus dem Jüngeren) im Sinne einer Abweisung letzterer klar herausstellt: Zuerst ( 1264) beginnt Horus der Ältere eine Rede, in dessen Verlauf er den Pharao anweist, nicht seine Arme für Horus den Jüngeren und seine "bösen Dinge" zu öffnen...( 1268)
In die Osirislegende wurde "ein" Horus erst spät integriert. Schon 1934 schrieb Adolf Erman:
"Die eigentliche Heimat des Horus wird im Delta gelegen haben; das möchte man schon daraus schließen, dass er gleichsam als der Nationalgott dieses Landes gilt, im Gegensatz zu dem Gotte Seth, dem Oberägypten zusteht. In beiden Göttern zusammen sieht man dann den Herrscher Ägyptens."[9]
Ups, Horus und Seth? Nicht Osiris und Seth? Richtig, denn das alte "Dynamische Duo" bestand aus Horus und Seth statt aus Osiris und Seth (daher ist die frühe Existenz Seths genauso wenig ein Zeichen für die frühe Existenz von Osiris wie die frühe Existenz von Horus dem Älteren - aber das nur nebenbei). Weiter schreibt Erman:
"Besonders volkstümlich wurde Horus, als man ihn in die Osirissage hineinzog, wo er als armes Waisenkind, Horus der Sohn der Isis, Harsiesis das Mitgefühl erregte."[10]
Erman, obwohl Anhänger des zu der Zeit noch weit verbreitetem Urzeit-Osiris, erkennt zudem, dass der Osirisgeschichte viele Dinge hinzugefügt wurden die mit der ursprünglichen Geschichte nichts zu tun haben, wie das Horusauge oder eben auch Horus und Seth als Widersacher.[11]. Zu Ermans interessanten Erkenntnissen zu den Pyramidentexten komme ich auf den folgenden Seiten noch zurück.
Bonnet schreibt zur Entwicklung des Horus:
"So weit wir sehen können ist der große Falkengott Horus der erste, der unter den Ortsgöttern zu einer das ganze Land überspannenden Vormachtstellung aufwuchs. Er hat sie bereits zur Vorzeit gewonnen. Schon die beiden Teilreiche, die dem Einheitsstaat der gesch. Zeit vorangehen, verehren ihn in ihren Königsstädten ... als ihren Hauptgott. ...
Zum ersten ist Horus Königsgott. Als solcher tritt er schon in den beiden vorgeschichtlichen Teilreichen neben die Landesgöttinnen Nebchet und Uto."[12]
Horus war also schon existent, als der Rest der ägyptischen Götterwelt noch überhaupt nicht ausformuliert war. Somit ist jede zwangsläufige Verknüpfung des Horus mit Isis oder Osiris hinfällig. Bonnet fährt fort:
"Das Königtum des Horus ist grundlegend für das Königsdogma wie für die Gestalt des Gottes selbst. ... Je und dann künden sich gleichgerichtete Ansprüche eines anderen Gottes, des Seth, des Herrn des oberäg. Ombos an. Er vermag sich nicht durchzusetzen; der Primat des Horus bleibt unerschüttert. ... Denn die Rivalität die zwischen Horus und Seth waltet, entlädt sich nicht in einem Kampf, der bis zur Vernichtung eines Gegners geführt wurde; sie endet vielmehr in echt ägyptischer Art in einem Ausgleich. ...
Der Ägypter weist dann jedem der beiden Götter eine der beiden Landeshälften zu. ..."[13]
Seth trat also erst viel später als Horus auf den Plan. Und offenkundig noch nicht als der später verachtete Feind. Weiter geht's:
"Der Kampfmythos fügt sich weiter einem dritten Sagenkreis ein, in den Horus früh hineingezogen wurde. Er wird zum Sohn der Isis... und tritt damit in den Osiriskreis ein. ...
An sich hatte ja Horus mit den Göttern von Busiris nichts zu schaffen. Seine Einfügung in ihren Kreis schuf sogar genealogische Schwierigkeiten, die an ihrem Teil Anlaß zur Abspaltung einer besonderen Form des Horus, des "großen" Horus ... gaben."[14]
Damit ist offensichtlich, dass der Horus als Sohn von Isis und Osiris eine Kunstschöpfung ist, die auf den Synkretismus in der Frühzeit des Alten Reichs zurückzuführen ist. Und das der alte Königs-Horus nichts mit der Rolle des Isissohns Horus zu tun hat. Und dass daher das Auftauchen des Horus keinen Aufschluss über die Existenz von Osiris gibt. Er ist daher als Beleg für einen frühen Osiris schlicht ungeeignet.
Ein weiteres Symbol für den frühen Osiris wird zwar nicht von Bauval selbst angeführt, aber von Verteidigern seiner These, die ein wenig mehr Ahnung von Ägyptologie haben als er. Aber auch bei diesem Symbol läuft man in dieselbe Falle wie bei Horus. Es ist der
Fig. 7 - Ein Djed aus dem Grab von Amenophis II |
"Man hat viel herumgedeutet, was dieses merkwürdige Zeichen eigentlich darstellen sollte. Die Erklärungen wurden meist durch die Voreingenommenheit gehemmt, dass dieses Symbol von Anfang an dem Osiris zugehöre. Aber die auf diesem Boden gefundenen Lösungen, vor allem die als entlaubter Baum, sind ebenso unwahrscheinlich, wie die jüngsten theologischen Ausdeutungen der Ägypter, die eine durch die Osirismythen bestimmte Symbolik hineintragen mussten. Es hat sich trotzdem genügend altes mit dem Djedpfeiler verbundenes Brauchtum erhalten, um die anfängliche Unabhängigkeit dieses Kults von der Osirisgestalt zu erweisen. (Anm. 6: Zwei Djedpfeiler als Holme der Himmelsleiter aufgestellt Pyr. 389b Als Haltepfosten (?) in Verbindung mit der Sonnenbarke Pyr. 1255. "Zwei Djedpfeiler des Re" auch in Sargtexten erwähnt Kees, Totenglauben S. 296)"[18]
Speziell aus der Anmerkung ist ersichtlich, dass Djed und Osiris also auch zur Zeit der Pyramidentexte noch keine Einheit darstellten! Kees schreibt weiter:
"Vor allem hat der memphitische Kreis den heiligen Djedpfeiler aus Busiris ohne jede Rücksicht auf Osiris in den Kultkreis des Ptah übernommen. In Memphis wurde das Fest des "Aufstellens des Djedpfeilers" sicherlich nach dem Vorbild von Busiris, in engster Verbindung mit Königsfesten, also wiederum als Symbol einer "dauerhaften" Gewährleistung der Herrschaft des Gottkönigs gefeiert. Selbst die symbolische Ausdeutung dieser Handlungen, die uns ein altes Krönungsschauspiel der Thinitenzeit überliefert hat, vergleicht den Djedpfeiler, der sich neigen muss, dem enthaupteten Seth, also dem Mörder des Osiris! Das wäre völlig ausgeschlossen, wenn es sich dabei um ein dem Osiris schlechthin wesensgleiches Symbol handelte."[19]
Tja, dem ist eigentlich kaum was hinzuzufügen. Weder der Djedpfeiler noch das "Aufrichten des Djed" waren also von Anfang an mit Osiris verknüpft. Diese Einstellung gilt noch heute. Richard Wilkinson vermerkt
"Es ist bekannt, dass der Djed seit dem Alten Reich mit dem memphitischen Schöpfergott Ptah verknüpft war, der selbst als der "nobele Djed" umschrieben war. ... Durch einen Prozess der Assimilation ... wurde der Gott Ptah Schritt für Schritt mit den Unterweltgottheiten Sokar und Osiris gleichgesetzt, und zu Beginn des neuen Reichs wurde der Djed weitverbreitet als Symbol des Osiris verwendet und wurde als Repräsentation seiner Wirbelsäule gesehen. ..."[20]
Der Überlieferungsweg ist daher klar: als Seth-Symbol (bzw. als Symbol für seine Unterwerfung) in der Frühzeit, als Ptah-Symbol in der für die Orion-Theorie relevanten Zeit, und erst viel, viel später ein Symbol für den Osiris.
Die älteste Verknüpfung des Djed mit Osiris in Form der Feier der "Aufrichtung des Djed" findet sich übrigens in einer Inschrift von Amenhotep III aus der späten 18. Dynastie[21]. Weit über 1000 Jahre nach der ersten "Orion-Pyramide". Als Beleg für einen frühen Osiris ist auch das nicht verwertbar.
Auch dieser Beleg wurde nicht von Bauval sondern von anderen Befürwortern angeführt. In der alternativen Szene spielt dieses Bauwerk generell eine wichtige Rolle, auch als Beleg für ein Uralt-Ägypten. Aber später mehr dazu...
Wir erinnern uns, dass eine Variante der Osirislegende die Zerteilung des Osiris in 14 Teile beschreibt. Diese sollen, wieder einem Teil der Legende zufolge, über ganze Ägypten verstreut worden sein. Und wiederum gemäß eines Teils der Legende soll Isis auf der Suche nach den Teilen für jedes ein eigenes Grab errichtet haben.
Leider ist keines dieser Gräber erhalten geblieben. Wirklich keines? In Abydos gibt es einen offenkundig uralten Bau in einem archaischen Architekturstil. Abydos gilt außerdem als der Ort, wo der Osiriskult erstmals überregionale Bedeutung erlangt hat. Und in Abydos soll der Schrein mit dem Kopf des Osiris bestattet worden sein[22]. Was liegt daher näher als die Vermutung, dass es sich bei diesem gefunden Bauwerk, dem berühmten Osireion, auch wirklich um eines der ursprünglichen Osirisgräber handelt?
Die Analyse des Osireions durch die frühen Ägyptologen ist der in meinen Augen ein fataler Fall einer Zirkelargumentation. Flinders Petrie, der Vater der modernen Ägyptologie, hatte keinerlei Zweifel daran, dass das vermeintliche Osirisgrab uralt sei, da Osiris ein uralter Gott war.[23]) Der bekannte englische Ägyptologe Wallis Budge argumentierte genau anders herum: da das Osireion uralt war (was ja schließlich Petrie festgestellt hatte), und Abydos nur ein späterer Kultort des Osiris war, müsse der Gott Osiris noch viel, viel älter sein.[24]. Ohne Basisfakten schaukelten sich beide Datierungen aneinander auf.
Warum hielt man das Osireion für so alt? Das liegt an seiner Bauweise. Das Osireion ist in einer seltsamen grobschlächtigen Architektur errichtet worden, die man sonst nur aus sehr frühen Zeiten kennt. Bunkerartig und massiv, mit klobigen, vierkantigen Säulen, die 55 Tonnen pro Stück wogen und eine einfache Kragsteindecke trugen. Dies steht ganz im Gegensatz zu den luftigen Konstruktionen des Neuen Reichs mit seinen weitläufigen Pfeilerhallen, wie sie zum Beispiel im benachbarten Sethos-Tempels bestaunt werden können. Diese Bauweise entspricht definitiv der des frühen Alten Reichs, sie ähnelt zum Beispiel der des Taltempels der Chephrenpyamide[25]). Von daher ist die Einschätzung des Osireion-Alters anhand der Architektur durch die frühen Ägyptologen verzeihbar.
In der Zwischenzeit hat man allerdings viele sogenannte Osiris-Scheingräber ausgegraben. Privatpersonen im Neuen Reich die etwas auf sich hielten brachten in ihren Gräbern entweder Kornmumien (auch Osirisbetten genannt) unter[26] oder zumindest Gemälde von Osirisgrabstätten an. Wer mehr Raum zur Verfügung hatte, spendierte oft einen eigenen kleinen symbolischen Osirissarg in seinem Grab, wirklich gut Betuchte legten gar ein komplett eigenes Osiris-Scheingrab an. Ein Beispiel ist zum Beispiel das jüngst "wiederentdeckte" Osirisgrab unter dem Chephrenaufweg in Giza.
Eigene Osiris-Scheingräber versuchten, die Architektur der "originalen" Osirisgräber nachzuempfinden. Dies sind die leider alle verschollenen Kultanlagen der Städte, die sich als Grabstätte eines Teils von Osiris sahen (und daher Austragungsorte der Osirisfeste waren). Nach Bonnet sind allerdings von vier Gräbern (Philae, Abydos, Memphis und Busiris)Überlieferungen bekannt, die Aufschluss über die Anlage liefern:[27]
Die privaten Osirisgräber waren daher oft ebenfalls zweigeteilt. Der Oberbau bestand aus einem Hügel, der oft bepflanzt gewesen ist, und von einem "Heiligen Hain", einer Baumbepflanzung, umgeben war. Darunter lag eine unterirdische Halle, stellenweise Dutzende von Metern tief in den Fels gehauen. Kern des unterirdischen Baus war immer eine "Insel", eine erhabene Plattform die von einem Wassergraben umgeben war, auf dem der Sarkophag stand. Das Dach dieser Insel war von Pfeilern gestützt. Speziell dieses archaische Pfeilerthema findet sich auch in vielen Kammern in den Gräbern des Neuen Reichs. Oft sind entsprechende Pfeilerhallen im Tal der Könige in gänzlich ungeschmückten Räumen ausgeführt, im starken Kontrast zu den sonst reichhaltig geschmückten sonstigen Kammern und Gängen.[28]
Oft befanden sich entweder in der Haupt- oder einer Nebenkammer sieben Nischen, die für die 7 Pforten des Duats standen[29], wie das berühmte Osirisgrab in Giza (auch wenn dort die siebte Nische zu einer echten "Pforte" zur tiefergelegenen Inselkammer umgebaut wurde). Auch Vielfache von Sieben waren üblich, da die Sieben eine spezielle Verbindung zu Osiris hat. Richard H. Wilkinson notiert dazu:
"Die Nummer Sieben war oft verschiedenen Göttern in unterschiedlichen Weisen zugeordnet. ... Der in Abydos verehrte Götterkreis bestand aus sieben Göttern, und diese Zahl ist auch oft mit Osiris assoziiert worden, dem großen Gott dieser Region.
Vielfache von Sieben waren auch extrem verbreitet. Gemäß dem Mythos wurde der Körper von Osiris durch Seth in 14 Teile geschnitten ... Das Buch der Toten stellt Sprüche bereit, die von dem Toten rezitiert werden müssen, wenn er durch die Pforten des Hauses des Osiris schreitet, welches normalerweise 21 davon hat, obwohl es in einem Papyrus mit sieben Türen dargestellt ist, was die Relation zu Basiszahl aufzeigt. ..."[230]
Das Osireion verfügt über alle klassischen Osirisgrab-Details. Reste eines Hügels wurden gefunden, Pflanzlöcher zeigen, dass die gesamte Anlage mit einem heiligen Hain umgeben war[31], und im Zentrum liegt eine große unterirdische Insel, die von Nischen umgeben ist.
Aber ist es nun ein echtes, orgiginales Osirisgrab, oder nur ein wenn auch sehr großes Osiris-Scheingrab?
Auch hier setzte in den 30'er Jahren eine Wende in der Betrachtung ein. Trotz intensiver Ausgrabungen konnte man nämlich keine andere Bezeichnung für die Anlage finden als "Nützlich ist Men-Maat-Re [Sethos I.] für Osiris"[32]. Sethos I ist aber ein König der 19. Dynastie. Dieser hat in unmittelbarer Nähe außerdem einen weiteren großen Tempel bauen lassen (den mit den berühmten "Helikoptern"). Und beide Anlagen waren von einer gemeinsamen Mauer umgeben. Dies zeigt, so die Ägyptologen, dass das Osireion in archaisierender Weise von Sethos I errichtet wurde! Großes Alter sollte vorgetäuscht werden, ein Trick der speziell im Neuen Reich noch häufiger belegt ist.
Ausführliche Analysen zeigten, dass der Sethostempel als Totentempel aufzufasssen ist, mit dem vermeintlichen Osirisgrab als das dazu gehörende Scheingrab (Kenotaph) für den "zu Osiris gewordenen" (= verstorbenen) König Osiris-Sethos.[33]
Warum war den alten Ausgräbern, wie dem doch so renommierten Petrie dies entgangen?
Der Grund ist ganz einfach: Er drang schlicht und einfach noch nicht zu den Stellen vor, an denen sich erklärende Inschriften befanden. Obwohl die Wände des Tempels mit Inschriften überzogen sind:
und auch im Vorraum des Bauwerks (welches früher nur über einen langen Tunnel zu erreichen war) Inschriften vorhanden sind, die Aufschluss über den Zweck des Gebäudes geben:
war man aufgrund der archaischen Bauweise der Meinung, Sethos habe das Bauwerk im Neuen Reich lediglich okkupiert.
Die gesamte Freilegung des Bauwerks dauerte aber fast 30 Jahre. Während dieser Zeit wandelte sich wie oben gesehen das Bild zu Osiris - und gleichermaßen auch die Einschätzung dieses Bauwerks. So war man schon bevor Henry Frankfort in den 30'er Jahren den unverrückbaren Beweis für die Bauurheberschaft von Sethos fand der Auffassung, es müsse jüngeren Datums sein.
Und woraus bestehen diese "unerschütterlichen Beweise"? Wie häufig in Ägypten wurden die Blöcke des Osireions mit Klammern zusammengehalten, auch die schweren Granit-Decksbalken waren auf diese Weile mit den massiven Säulen verzapft gewesen. Ein Teil dieser Klammern konnte geborgen werden - und sie trugen den Namen von Sethos. Damit geht die Basiskonstruktion nachweislich auf ihn zurück.
Zudem bestand das Osireion aus mit Granit verkleideten Sandsteinblöcken. Während der Freilegung wurden einige der schweren Verkleidungsblöcke aus Sicherheitsgründen geborgen - und auch auf den dahinterliegenden Wandblöcken tauchte der Name von Sethos auf!
In weiten Kreisen der alternativen Geschichtsschreibung gilt das Osireion dennoch weiterhin als uralt. Die Ergebnisse von Frankfort (obwohl 60 Jahre alt) sind dort unbekannt, Strukturanalysen gelten dort als suspekt (und daher irrelevant) ) oder sind, weitaus häufiger, als wissenschaftliche Methode gar nicht bekannt, und Inschriften besagen in den Augen der alternativen Vertreter nichts. Es gibt aber neben den Inschriften und Analysen ganz triftige Gründe die für ein geringes Alter des Osireions sprechen, und die sind in der Religion der Ägypter verankert.
Das Totenreich der Ägypter, die Duat, wird oft als "Unterwelt" übersetzt. Osiris war der Herrscher der Unterwelt, daher ergeben die gefundenen unterirdischen Osirisgräber, mit Scheintüren die ins Gestein, ins Innere der Erde führen also Sinn.
Die Duat als Unterwelt ist aber nur eine Seite der Medaille, der Begriff "Jenseitswelt" ist weitaus passender. Denn in der Pyramidenzeit war die Situation ein wenig anders. Hans Bonnet schreibt dazu:[34]
"Zu den Stätten, an denen die Toten verweilen, zählt die Dat oder Duat, wie eine anscheinend ältere Nebenform lautet. Schon die ältesten Texte reden von ihr, und mit der Zeit wird sie mehr und mehr zum eigentlichen Jenseitsland. Ihre Lokalisation ist dabei nicht immer die gleiche; erst mit dem Neuen Reich wird sie völlig eindeutig. Seitdem versteht man unter der Duat durchaus die Unterwelt ...
Diese Lokalisierung der Duat in der Unterwelt ist der älteren Zeit nicht fremd. ... Zumeist verlegen sie aber doch die Duat in den Himmel. In sie wird der Tote aufgenommen, nachdem er auf der Himmelsleiter aufgestiegen ist (Pyr.390). Auch von den "Bewohnern der Duat", unter denen der Tote verweilt ist die Rede (Pyr.953). Nach der Schreibung sind unter ihnen die Sterne verstanden. ...
dass die Gedanken der Pyramidentexte mehr bei der himmlischen Duat weilen, versteht sich von selbst, da ihr Jenseitsbild ein betont himmlisches ist. Ebenso einleuchtend ist es, dass mit dem Abklingen dieses Jenseitsbildes zu der "unteren Duat" ... zurückkehrt, um schließlich ganz bei ihr zu verweilen. ..."
Noch klarer formuliert den Übergang Erik Hornung in seiner Nachtfahrt der Sonne. Im Kapitel "Das himmlische Jenseits der älteren Zeit" lesen wir:
"Vorstellungen über die Nachtfahrt der Sonne oder über die Jenseitsreise des Verstorbenen reichen in Ägypten tief in die Vorgeschichte zurück. Schon die Verzierung einer Tonschale aus der ältesten Negadezeit, um die Mitte des 4. Jahrtausends v. Chr., lässt sich als schematische Darstellung des Sonnenlaufs durch Wüstengebirge und Urgewässer deuten ...
Bevorzugt aber wird bei den Pyramiden von Anfang an die Nord-Orientierung, bei welcher der Eingang des schrägen Korridors, der zur Grabkammer hinunterführt, auf die Region der Zirkumpolarsterne verweist. ...In den Sprüchen dieser Sammlung [den Pyramidentexten, Anm. FD] ist der Aufstieg des verstorbenen Königs zum Nachthimmel, unter die "unvergänglichen Sterne", die beherrschende Idee. Schon vor den Pyramidentexten lässt sich diese Idee in den Namen der königlichen Grabanlagen und im Namen von Arbeitertrupps greifen ...
Deutlich ist, dass auch die Vorstellung vom Ach, der Bezeichnung für selig verstorbene, und von der aktiven, frei beweglichen Ba-Seele ursprünglich mit diesem königlichen Jenseits am Nordhimmel verbunden sind und erst später ins westliche Totenreich übertragen werden. ...
Dort oben begegnet der verstorbene König dem Sonnengott ...
Wesentlich reicher sind diese Vorstellungen [einer unterirdischen Unterwelt, Anm. FD] in den Sargtexten des Mittleren Reiches ausgestaltet. Immer noch spielt der Aufstieg zum Himmel eine wichtige Rolle, ... das himmlische Jenseits ist jetzt nicht länger königliches Privileg, sondern steht jedem offen. Daneben aber finden wir Aufenthalt und Herausgehen aus dem Nun, dem Urgewässer, und das Reich des Erdgottes. ...
Äusserlich lässt sich die Verlagerung des Schwerpunktes vom Himmel in die Unterwelt ganz klar ablesen an der Grundrissänderung, die Sesostris II um 1840 v. Chr. in den unterirdischen Räumen seiner Pyramide in Illahun vorgenommen hat. ... Es sind die gekrümmten, vielfach geknickten Wege der Unterwelt, die jetzt die Architektur des Königsgrabs bestimmen und einige Zeit später auch zur Aufgabe der Pyramidenform führen, die ja aufs engste mit dem himmlischen Jenseits des Königs verbunden ist."[35]
Die oben erwähnten Pyramide von Sesostris II gilt übrigens als die älteste bekannte Form eines Osirisgrabs![36]
Damit sind die Belege für frühzeitliche Osirisgräber in sich zusammengefallen. Ausnahmslos alle entsprechenden Strukturen stammen aus dem Zeitraum nach dem späten Mittleren Reich, Hunderte von Jahren nach dem Ende der für die Orion-These wichtigen Pyramidenzeit des Alten Reichs. Osirisgräber sind daher als Beleg für die urzeitliche Existenz des Osiris gegenstandslos.
Im übrigen demolieren die klaren Worte von Hornung zum Reiseziel der Seele des Toten die Basisidee der OCT weiter.
Auf dieser Seite wurden indirekte Beweise für eine frühe Osiris-Existenz untersucht. Weder früher als sicher angesehene architektonische Belege noch die Osirislegende mit ihren Haupt- und Nebenfiguren können aber als Beleg dafür herangezogen werden. In der für die Orion-These wichtigen Zeit scheint Osiris ein "unsichtbarer Gott" gewesen zu sein.
Anmerkungen: | |
[1] | siehe u.A. Budge, E.A.Wallis; The Gods of the Egyptians, London 1904, Vol. II S. 124 |
[2] | Eine deutsche Übersetzung findet sich bei Brunner-Traut, Emma; Altägyptische Märchen, Diederichs 1963, S. 121 ff |
[3] | Siehe zum Beispiel den Artikel zu Osiris von Serge Sauneron in Posener, Georges (ed), Lexikon der ägyptischen Kultur Droemer 1960 S. 192 |
[4] | Bonnet, RÄRG S. 237 ff |
[5] | Brunner-Traut, Märchen, S. 122 |
[6] | Scharff, Alexander; Die Ausbreitung des Osiriskultes in der Frühzeit und während des Alten Reiches, Sitzungsbericht der Bayrischen Akademie der Wissenschaften 1947/Heft 4, S. 16 Anm. 53 |
[7] | ibd. |
[8] | Lexikon der Ägyptologie(LÄ), Vol III, S. 13-14, "Horsemsu" |
[9] | Erman, Adolf; Die Religion der Ägypter, de Gruyter 1934, S. 29 |
[10] | ibd. S. 30 |
[11] | ibd. S. 69 |
[12] | Bonnet, RÄRG, S. 307 f "Horus" |
[13] | ibd. S. 308 |
[14] | ibd. S. 310 |
[15] | Wilkinson, Toby; Early Dynastic Egypt, Routledge 1999 S. 292 |
[16] | Erman, Adolf, Die Religion der Ägypter, de Gruyter 1934, S. 34, 183 |
[17] | Bonnet, RÄRG, S. 150 f "Dedpfeiler" |
[18] | Kees, Götterglaube, S. 97 |
[19] | ibd. S. 98 |
[20] | Wilkinson, Richard H.; Reading Egyptian Art, Thames & Hudson 1992, S. 165, Übersetzung durch mich |
[21] | Shaw, Ian & Nicholson, Paul (ed.); British Museum dictionary of Ancient Egypt, British Museum Press 1995, S. 86 "Djed Pillar" |
[22] | u.A. Budge, Gods, S. 131 |
[23] | z.B. Petrie, Flinders; Abydos I, London 1902, S. 1 |
[24] | Budge, Gods S. 117ff |
[25] | Ein Vergleich findet sich in Clarke/Engelbach; Ancient Egyptian Masonry; The building craft, London 1930, S. 131 f und S.148 ff |
[26] | das waren kleine Kästen in Mumienform, mit Erde und Saatgut gefüllt, oder auch kleine Tonmumien mit Löchern, ebenfalls mit Erde gefüllt, in denen das Getreide keimen sollte, siehe z.B. Helck/Otto; Kleines Lexikon der Ägyptologie, Harrassowitz 1999, S. 156 |
[27] | Bonnet, RÄRG S. 576 "Osirisgrab" |
[28] | Zur Architektur eines Osirisgrabs siehe z.B. Arnold, Dieter; Lexikon der ägyptischen Baukunst, Artemis 1994, S. 183 |
[29] | Bonnet, RÄRG S. 576 "Osirisgrab" |
[30] | Wilkinson, Richard H.; Symbol & Magic in Egyptian Art, Thames & Hudson 1994, S. 235 f |
[31] | Arnold, Dieter; Die Tempel Ägyptens, Artemis 1992, S. 171 |
[32] | Otto, Eberhard & Hirmer, Max; Osiris und Amun, Hirmer 1966, S. 50 |
[33] | ibd. S. 46 ff |
[34] | Bonnet, RÄRG S. 148 f "Dat" |
[35] | Hornung, Erik; Die Nachtfahrt der Sonne; Eine altägyptische Beschreibung des Jenseits, Artemis & Winkler 1991, S 207 ff |
[36] | Arnold, Lexikon, S. 183, Stichwort "Osiris-Grab" |